Als Institution ist das Museum – wie der Zoo – im liberalen Selbstverständnis der Moderne verwurzelt, welches sich aus der Natur herausnimmt und sich über diese stellt. In dieser Weltordnung ist das Tier das „Andere“, wird der/die vermeintlich Andere zum „Tier“ und sind Kinder unfertige Subjekte, die man mit Tieren umgibt, denen das Eigene, uns Fremde genommen wurde. In der wechselseitigen Positionierung von Betrachter*in und „Exponat“ steht das Vertraut-Zivilisierte dem Fremd-Barbarischen gegenüber. Kunst und Natur werden zu Kunstgeschichte und Naturgeschichte formatiert, jeweils unter der Prämisse, die „Freiheit“ (der Kunst) und das „Wilde“ (der Tierwelt) zu schützen.
Die Ausstellung Das Tier in Dir – Kreaturen in (und außerhalb) der mumok Sammlung widmet sich solchen Themen. Die bildende Kunst und ihre Faszination für Tiere – in Form von Haus-, Zoo-, Nutz- und Stofftieren sowie in Projektionen von Wildheit – bereiten das Feld, um über die Natur von Sex, Hunger und Zuneigung nachzudenken, über Familien- und Geschlechterbeziehungen, Sozialisation und Domestizierung und nicht zuletzt über die andauernde Wirkung von Kolonialgeschichte. Anders formuliert: Das Tier in Dir bedient sich der populären Anziehungskraft von Tieren, um Gewalt- und Herrschaftsstrukturen zu verhandeln. Wer frisst wen? Wer führt wen an der Leine? Wer gibt wem einen Namen? Aber auch: Was hat es mit den Plüschtieren im „Laufstall“ auf sich? Was leisten Aquarien, Vogelkäfige und Nippes im bürgerlichen Wohnzimmer? Und was macht Tierhäute zum sexuellen und modischen Fetisch?
Der Ausstellung geht es also weniger um Tiere denn um Körper, die sich bewegen oder stillstehen, liegen oder stehen, sich ducken oder kriechen. Das Tier als Motiv dient als Ausgangspunkt, um zu einem materialistischen Verständnis von Kunst und Leben zu gelangen, und dies nicht im übertragenen Sinne – es ist verblüffend, wie prominent Knochen, Häute, Felle und Federn in der bildenden Kunst der letzten hundert Jahre vertreten sind. Dabei versteht sich Das Tier in Dir als exemplarisches Unterfangen. Es geht nicht um die „beste“ Tierkunst oder um die berühmtesten Künstler*innen, die Kunstwerke zum Thema geschaffen haben. Tatsächlich könnte diese Ausstellung in jedem Museum mit einer vergleichbaren Sammlung stattfinden und würde zu ähnlichen Ergebnissen führen: In der westlichen Welt ist „Rahmen und Zähmen“ das, was wir tun, um sowohl im Leben als auch in der Kunst unser Territorium zu markieren und unsere Subjektivität zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund ist das Museum nicht nur eine Art Zoo, sondern auch eine Falle, und was uns dort „fesselt“, dient auch als Fessel, die uns in liberal- humanistischen Fantasien von Freiheit und Autonomie gefangen hält.
Ergänzend zu den unterschiedlichen Kreaturen, die die Ausstellungsebenen bevölkern, schiebt sich zwischen Architektur und Exponate ein Wandbild von Ulrike Müller: Große, in Grautönen gehaltene Flächen legen sich über die Ausstellungsebenen, begrenzt teils von organischen Abrundungen, teils von scharfen geometrischen Kanten, die in eigenwilligen Winkeln die Wände durchschneiden. Von welchen Körpern diese schattenhaften Abstraktionen erzählen, ob sie eine Bedrohung signalisieren oder die Nähe einer wohlwollenden Präsenz, bleibt offen. In jedem Fall situieren sie die Betrachter*innen in ihren eigenen Körpern und verweisen auf Perspektiven, die außerhalb des Rahmens des Museums, der Kunstgeschichte und auch dieses Projekts liegen.
KünstlerInnen:
Hildegard Absalon, Friedrich Achleitner, Hans Arp, Christian Ludwig Attersee, Josef Bachler, Georg Baselitz, Lothar Baumgarten, Herbert Bayer, André Beaudin, Renate Bertlmann, Joseph Beuys, Linda Bilda, Günter Brus, Werner Büttner, Cagnaccio di San Pietro, Helen Chadwick, Linda Christanell, Clegg & Guttmann, Bruce Conner, Frank João da Costa, Wessel Couzijn, Walter Dahn, Friedl Dicker, Erik Dietman, Anton Dobay, Stefan Eins, Elisabeth Ernst, VALIE EXPORT, Öyvind Fahlström, Alois Fischbach, Johann Fischer, Heinz Frank, Gloria Friedmann, Adam Fuss, Valeriy Gerlovin, Rimma Gerlovina, Jochen Gerz, Bruno Gironcoli, Johann Gittenberger, Franz Graf, Nancy Graves, Al Hansen, Johann Hauser, Karel Havli?ek, Jann Haworth, Candida Höfer, Ull Hohn, Jörg Immendorff, Johannes Itten, Robert Jacobsen, Ben Jakober, Anna Jermolaewa, Isolde Maria Joham, Ray Johnson, Joe Jones, Birgit Jürgenssen, Béla Kádár, Richard Kalina, Franz Kamlander, Gudrun Kampl, Gülsün Karamustafa, Mike Kelley, Franz Kernbeis, Erika Giovanna Klien, Alfred Klinkan, Dominique Knowles, Kiki Kogelnik, Peter Kogler, Fritz Koller, Broncia Koller- Pinell, Brigitte Kowanz, Kurt Kren, Tetsumi Kudo, Wifredo Lam, Maria Lassnig, Madame d'Ora, Dušan Makavejev, André Masson, Paul McCarthy, Missing Link (Angela Hareiter, Otto Kapfinger, Adolf Krischanitz), Alois Mosbacher, Michaela Moscouw, Koloman Moser, Otto Muehl, László Mulasics, Ulrike Müller, Bruce Nauman, Elly Niebuhr, Hermann Nitsch, Oswald Oberhuber, Julian Opie, Fritz Opitz, Frida Orupabo, Nam June Paik, Margit Palme, Gina Pane, Pino Pascali, A.R. Penck, Phillippe Perrin, Marcel Pouget, Herman Prigann, Otto Prinz, Eileen Quinlan, Mel Ramos, Stephan Reusse, Germaine Richier, Erika Rössing, Dieter Roth, Susan Rothenberg, Gerhard Rühm, Erica Rutherford, Branko Ruži?, Niki de Saint Phalle, Lucas Samaras, Chéri Samba, Rudolf Schlichter, Kurt Schlögl, Carolee Schneemann, Philipp Schöpke, Bernard Schultze, Franz Sedlacek, Zbyn?k Sekal, Bonnie Ora Sherk, Franz Singer, Christian Skrein, Berty Skuber, Ned Smyth, Anne Speier, Margherita Spiluttini, Daniel Spoerri, Curt Stenvert, Leopold Stolba, Kamen Stoyanov, Ingeborg Strobl, Kurt Talos, Josef Till, Ursula, Maja Vukoje, Max Weiler, Lois Weinberger, Susanne Wenger, Wiener Gruppe (Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener), Siegfried Zaworka, Erich Zittra, Heimo Zobernig [pge]

© Stephan Wyckoff, © mumok

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